Statussymbol?
Was ist dran an der immer wieder zu lesenden und zu hörenden Aussage, dass Kameras - vor allem neue Modelle, teure oder seltene Exemplare - Status-Symbole seien.
Wer die Geschichte der Fotografie, ihre Gegenwart und Ihr düstere Zukunft verstehen will, der muss sich etwas mit den Hintergründen der Status-Frage beschäftigen.
Vorausschickend will ich gerne einräumen, dass wenige löbliche Ausnahmen existieren. Aber cum grano salis kann man durchaus einiges pauschalieren, ohne dem Bereich Fotografie Unrecht zu tun.
Statussymbole
Viele Dinge eignen sich bis heute als Statussymbole
- Ein Pferd und das Reiten.
- Ein besonderes Auto sowie das (Renn-) Autofahren.
- Eine Segelyacht und das Segeln.
- Eine Golf-Ausrüstung und das Golfspielen.
- Schmuck, Uhren, Brillanten, Diamanten ...
Warum eigneten sich bisher hingegen weder die Fotokamera noch das Fotografieren als Tätigkeit hierzu?
- Wer eine Golfausrüstung in seinem offenen Cabriolet auf der Rückbank liegen lässt, kombiniert sogar zwei Statussymbole, welche Reichtum und Freizeit symbolisieren.
- Wer hingegen seine Fotokamera auf der Rückbank seines offenen Cabriolets liegen lässt, begeht eine Aufforderung zum Diebstahl und demonstriert nur seine Dummheit.
Selbst aus heutiger Sicht banalste Dinge wurden früher als Statussymbol angesehen, bis sie in den Alltag hinein und zu den Subalternen herunter wanderten:
- So fanden sich die meisten Schreibmaschinen im 19. Jahrhundert zuerst als seltene Statussymbole bei den Geschäftsführern und Amtsleitern / Behördenchefs, bevor sie hinaus zu den Sekretärinnen und hinunter zu den Untergebenen wanderten.
- Bei den Telefonen war es ebenso, wobei diese jedoch auch später immer bei den Vorgesetzten blieben. Allerdings bildeten die Sekretärinnen dann eine Filterfunktion für Anrufer, welche nur die wenigen Auserlesenen weiterleiteten.
- Ähnlich, wie mit den Schreibmaschinen, verhielt es sich bei den Personal Computern (PC). Zuerst waren es die Professoren an der Universität, welche damit mehr oder weniger arbeiteten. Erst danach erhielten deren Sekretärinnen solche Geräte.
Bei den Fotoapparaten lässt sich keine vergleichbare Entwicklung nachweisen. Sie besaßen niemals einen Statuscharakter.
Komplexität?
- Ein immer wieder angeführtes Argument ist die Kompliziertheit der Fotografie. Das Fachwissen ist enorm, und die technischen Einstiegshürden waren früher noch höher als heute.
- Aber alle Stocksportarten (Segeln, Golf, Skifahren...) sind ebenso kompliziert, wenn nicht noch komplexer und wurden und werden bis heute dennoch von vielen Wohlhabenden betrieben.
Zeitaufwand?
- Ein immer wieder angeführtes Argument ist der hohe Zeitaufwand für die Fotografie. Nicht nur die Aufnahme, sondern vor allem die Nachbearbeitung / das Entwickeln ist arbeitsaufwändig, und die Einstiegshürden waren in der analogen Zeit noch höher als heute.
- Aber z.B. alle Stocksportarten sind ebenso zeitaufwändig, wenn nicht noch aufwändiger und wurden und werden bis heute dennoch von vielen Wohlhabenden mit sehr viel Zeitaufwand betrieben.
- Ganz im Gegenteil wird die Zurschaustellung von Freizeit und ihre Verschwendung von wohlhabenden Schichten geradezu als Statussymbol zelebriert.
- Warum gilt dann die Zeitverschwendung im Hobby Fotografie nicht als Statussymbol?
Handwerk
Der Hintergrund dieser mangelnden Statuseignung scheint in der Entstehungsgeschichte zu liegen.
- Das Fotografieren wurde von Anfang an immer als Handwerk betrachtet und geradezu betont von der Kunst der Malerei getrennt.
- In der Folge kämpften Fotografen jahrzehntelang um die Anerkennung ihrer Arbeiten als Kunst. Dies führte hin bis zu skurrilsten Ansichten und Bewegungen: So wurde (von vielen bis heute) nur die Schwarz-Weiß-Fotografie als künstlerisch angesehen, obwohl es bereits seit dem 19. Jahrhundert den Farbfilm gab. Neben dem technischen Unvermögen vieler Fotografen, Farbfilme selbst zu entwickeln, war dies auch - in bewusster Abwendung von der Malerei in Farbe - gezielt gewählt - quasi als Rückzug auf die angeblich ursprüngliche und reine Kunst der Zeichnung.
- Auch wenn die meisten Fotografen inzwischen der Meinung sind, sie hätten den Kampf um die Anerkennung der Fotografie als Kunst generell gewonnen, weil Museen zahlreiche Fotografien in ihre Kunst-Sammlungen aufnahmen, so blieb in der Bevölkerung der Beigeschmack des Handwerks bis heute an der Fotografie haften. - Dinge mit langjährigem weitverbreitetem Beigeschmack eignen sich jedoch nur eingeschränkt als leicht verständliches und weit anerkanntes Statussymbol.
- Vor allem blieb das Handwerk bis vor wenigen Jahren erhalten, da die meisten Berufsfotografen sogar in der Handwerksrolle eingetragen und in der Handwerkskammer organisiert sein mussten, und das Fotografieren in einigen Ländern sogar eine vorherige Lehre erforderte.
- Diese Zwangszuordnung in vielen Ländern sollte nicht unterschätzt werden. Ein Anstreicher war immer ein Handwerker und wie alle Fotografen in der Handwerkskammer organisiert. Ein Kunstmaler war als freier Beruf hingegen immer unabhängig. Meist war er zwar arm, aber niemals abhängig oder in die Arbeiterschicht eingebunden oder wurde mit ihr assoziiert.
- Und in der engen Definition von Kunst lassen sich weit über 90% der Fotografien wirklich nicht einordnen. Dies gilt selbst dann, wenn der Fotograf sich mit Bildaufbau und vielen künstlerischen Elementen auskennt und sie sogar anwendet. Das Gros der Fotografien fällt in den Bereich Dokumentation.
Werkzeug
- Wer ein Gemälde sieht, fragt oft zuerst:
Wer hat es gemalt?
- Wer eine Fotografie sieht, fragt hingegen oft zuerst:
Wo wurde sie aufgenommen?
, Wann?
, Wie?
, Mit welcher Kamera?
, Mit welchem Objektiv?
- Es mag sein, dass Spezialisten mit hohem Fachwissen auf dem Gebiet der Malerei sich darüber unterhalten, mit welchen Farben - die der Maler selbst abmischte, oder sogar erst erfand - er hier in diesem Gemälde arbeitete. Es mag sogar sein, dass man sich über den Pinselstrich und den Untergrund / die Leinwand unterhält.
- Aber niemand würde sich über die Pinsel oder gar den Hersteller der Pinsel jenes Malers auslassen.
- Ähnlich wäre es bei einem Bildhauer. Die Marmorart, die Bearbeitungstechnik und vieles mehr kann Analysegegenstand sein. Aber kaum jemand lässt sich über die verwendeten Meißel und Hämmer oder sogar deren Hersteller aus.
- Kameras sind jedoch nichts anderes als Handwerkszeug.
Technik
Da die Einordnung der Fotografie in die Kunst immer schwerfiel, wurde und wird die Fotografie in der Folge oft und überwiegend mit Technik in Verbindung gebracht.
- Das visuelle Medium Bild unterscheidet sich jedoch auch vom Medium Schall:
- Während fast jeder Mensch sofort erkennt, ob eine andere Person falsch singt oder ein Musikinstrument falsch spielt, so fällt ein technisch und künstlerisch inkorrekt gestaltetes Foto nur wenigen Menschen auf.
- Während man von Disharmonien und schrillen Tönen sogar Ohren- und Kopfschmerzen erleiden kann, treten derartige Effekte beim Betrachten schlechter Fotos nicht auf.
- Das Einzige, was den Menschen an vermeintlich
schlechten
Fotos meist sofort auffällt sind Unschärfen, seien sie durch Verwackeln oder Objekt-/Motivbewegung hervorgerufen.
- Genau hier setzen die Kamera- und Objektivhersteller seit Jahrzehnten an, indem sie die Schärfe als letztendlich einzige Qualität hervorheben und ständig weiter verfeinern. Das ist jedoch ein rein technischer Aspekt, der sich folglich auch mit technischen Messgeräten und physikalischen Verfahren nachmessen lässt.
- Das kommt alles auch nicht von Ungefähr. Die Fotografie entstand im 19. Jahrhundert explizit aus dem Wunsch heraus, ein - im Vergleich zu Malerei - wesentlich präziseres Abbild der Realität zu schaffen.
- Schärfe als technischer Aspekt oder Realitätsnähe resp. Wahrheitstreue sind jedoch nur bedingt als Statussymbol geeignet.
- Ein Foto dient noch heute als Beweismittel im Führerschein, im Personalausweis, im Reisepass und vor Gericht. Es genießt somit das zweifelhaften Flair eines Fingerabdrucks oder einer Genanalyse.
- Es hat somit seinen Grund, dass sich höhergestellte Persönlichkeiten bis heute kein Foto von sich in ihr eigenes Büro hängen, sondern ein Gemälde. Fotos von sich lässt man nur in den Räumen der Untergebenen aufhängen.
Unikat?
Wert und Status ist eng verbunden mit Exklusivität und Seltenheit.
- Wenn ein Musiker ein Musikstück eines anderen Musikers bis auf eine einzige Note kopieren würde, handelte es sich um eine unveröffentlichbare Arbeit.
- Wenn ein Fotograf sich wenige Sekunden nach einem anderen Fotografen mit derselben Ausrüstung und Kameraeinstellung an dieselbe Stelle stellt und dasselbe Motiv aufnimmt, ist dies erlaubt und heute sogar normal, wenn nicht die Regel. Er darf sich sogar direkt neben den Anderen stellen und gleichzeitig dasselbe fotografieren.
- Je fortschrittlicher die technische Kameraausstattung wird, umso leichter wird die identische Kopie gelingen, da sie menschliche Abweichungen und Fehler eliminiert.
- Aber bereits heute finden sich unendlich viele Kopien des Identischen im Internet.
Apparat / Maschine
Die Kamera besitzt auch einen erheblichen Apparate-Charakter, der auf den Fotografen abfärbt.
- Wenn man sich die Entwicklungsgeschichte der Fotoapparate ansieht, so kann man eine kontinuierliche Arbeitserleichterung auf allen Ebenen erkennen: Gewichte, Volumina, Gefahren für Leib und Leben durch Chemikalien wurden reduziert.
- Neben diesen körperlichen Erleichterungen wurden auch die geistigen Anforderungen an die Aufnahme ständig reduziert: Belichtungsautomatik, Autofokus, Motiverkennung, Verfolgungsautomatik, Gesichtserkennung, Augenerkennung und Fokussierung darauf, ISO-Automatik, Programmautomatik(en) etc. machen heute das Fotografieren fast jedem zugänglich. - Exakt dies ist jedoch ein Widerspruch zum Statussymbol, welches sich eher mit dem Exklusiven (= dem Ausschließenden) assoziieren will. Ein Symbol, zu dem jeder leichten Zugang besitzt, ist kein Statussymbol (mehr).
- Und wo finden sich heute die meisten Kameras? Im Pkw, bei der Sicherheitsüberwachung, als Bodycams, in Drohnen, zur Steuerung des eigenen Hauses (Smart Home), in der Medizin, als 360-Grad-Kameras für Virtual Reality, für Augmented Reality, für Video sowie Film und vor allem als Kontrolleinheit in computerisierten Fertigungsstraßen / der Roboter-Industrie.
- Allein bei den Pkw kann man angesichts von rund 90 Millionen produzierten Autos im Jahr 2014 und konservativ angesetzten 10 Kameras je Fahrzeug von einem Bedarf von bis zu einer Milliarde neuen Kameras jedes Jahr ausgehen.
- Durch diese automatisch arbeitenden Kameras benötigt man auch keinen bildgestaltenden Fotografen mehr. Die integrierte Software / Firmware kann dies wesentlich präziser durchführen. Somit werden die einzigen unberechenbaren und letztendlich unerwünschten Störquellen - die Menschen - beseitigt. Die neuen Image-Sensoren besitzen folglich auch keine Schnittstellen (User-Interfaces) mehr. Es handelt sich somit um keine Kameras im klassischen Sinne.
- Mit zunehmender Automatisierung der Kameras sowie der Aufrüstung auf 4K- und bald 8K-Video mit hohen Bildfrequenzen, wobei man die Einzelbilder (bis über 30 Mega-Pixel) direkt aus dem Film einzeln extrahieren kann, werden Berufs- und Amateurfotografen überflüssig. Dies gilt auch für das heute noch lukrative Geschäft mit der Hochzeitsfotografie. Bereits aufgrund der drastisch zunehmenden Kriminalität werden bald alle öffentlich zugänglichen Räume kameraüberwacht werden. D.h. auch Hotels und selbst Kirchen werden dazu übergehen, in allen Ecken derartige hochauflösende Kameras zur Überwachung einzubauen. Sofern man den wichtigsten Kunden / Gästen dann einen RFID-Sensor, die bereits heute winzig klein sind, als Anstecker (Neudeutsch: Button) übergibt, dann können sie automatisch verfolgt, gezoomt, eine Gesichtserkennung durchgeführt und auf den Augen fokussiert werden. Dies resultiert in völlig automatisch erstellten sehr guten Fotos, gleichzeitig und das von mehreren Raumpositionen aus. Als Kunde muss man sich dann nur noch das beste Foto aussuchen. Die Technik ist schon vorhanden und die Videos laufen sowieso ständig. D.h. eine manuelle Bildgestaltung durch den Fotografen ist nicht mehr erforderlich. Der Kunde tritt somit für seine Fotos in eine Vertragsbeziehung zum Hotel, Restaurant, der Kirche, dem Standesamt etc.
- Die Fotografen wurden bisher im besten Fall als Techniker angesehen, meist jedoch nur als Bediener einer Maschine. Und durch die zunehmende Automatisierung werden diese inzwischen wenig qualifizierten Arbeitskräfte zukünftig völlig freigesetzt.
- Bereits mittelfristig wird jedoch schon ein anderes Phänomen die Berufsfotografen hart treffen: Snappr - mit seinem Motto:
Book a pro photographer easily and affordably
. Im Prinzip handelt es sich um eine Art Uber für Fotografen. Snappr bietet 30-minütige Fotosessions inklusive 5 perfekt ausgearbeiteter Fotos für ungefähr 41 Euro (59 Australische Dollar) an. Ein ganzer Tag kostet nur 449 Australische Dollar = 310 Euro inklusive 30 Fotos, aller Risiko-Versicherungen und Zufriedenheitsgarantie / Geld-zurück-Versprechen bei Nichtgefallen. Das Firmenkonzept wird sicherlich bald von Australien nach Europa transferiert werden. Vor allem, weil es dem Kunden garantiert, dass er einen Fotografen binnen 12 Stunden erhält. Zuerst wendet sich das Firmen-Konzept an vorhandene professionelle Fotografen mit wenigen Aufträgen, um deren freie Zeiten optimaler auszubuchen. Aber wie wir bei Uber und anderen Dienstleistern bereits gesehen haben: Kurz darauf werden zehntausende Amateure für Niedriglohn den Profis harte Konkurrenz machen. Dies funktioniert umso leichter, als bei den Freien Berufen wie Fotografen keinerlei rechtliche Beschränkungen bestehen. D.h. ausgebildete Fotografen werden durch angelernte Hilfsarbeiter ersetzt.
- Eine Tätigkeit einer sozialen Gruppe, die wenig angesehen ist und welcher auch noch der völlige soziale Abstieg droht, eignet sich jedoch nicht als Statussymbol.
Mediencharakter
- Wie ein Gemälde ist ein Foto auch ein Medium. Aber ein besonderes.
- Während das Gemälde fast immer für sich steht oder zumindest stehen kann, selbst wenn es ein Porträt ist, so ist bei einem Foto das Abgebildete fast immer wesentlich wichtiger. Denn gleichgültig, wie abstrakt oder künstlerisch das Foto oder der Film auch immer sein mag, im Hinterkopf schwingt bei allen Betrachtern die Assoziation mit dem
Abbild von Wirklichkeit
mit.
- Jeder kennt vermutlich John Wayne, Greta Garbo, oder Heinz Ehrhardt, von Filmen und Fotos in und auf denen sie abgebildet sind. Nur sehr wenige kennen jedoch die Kameraleute. Und noch weniger Menschen kennen vermutlich den Kamerahersteller.
- Der Unterschied zwischen Gemälde und Foto/Film liegt somit zum großen Teil im Motiv.
- Während bei einem Gemälde von Van Gogh oder einer Skulptur von Raphael der Künstler - also der Schöpfer - im Vordergrund steht, ist auf einem Foto das abgebildete Motiv vor der Kamera wichtiger.
- Hinzu kommt ein Effekt der doppelten Medialität: Besondere Bedeutung erlangt ein Foto erst als Abbildung in einem anerkannten weiteren Medium. Z.B. ein Foto eines Models wirkt auf der Hochglanz-Titelseite der Vogue oder Harpers Bazar ganz anders, als im billigen Werbeteil einer Lokalzeitung. - Botticellis Die Geburt der Venus wirkt hingegen bereits durch sich selbst und steht für sich selbst - gleichgültig, wo das Gemälde hängt.
- Diesen utilitaristischen Mediencharakter haben die Mächtigen und Reichen schon lange erkannt. Sie stellen sich folglich vor die Kamera und sie achten immer darauf, dass Sie nur von bestimmten Fotografen in für sie vorteilhaften Situationen und Positionen aufgenommen werden. Und sie stimmen einer Veröffentlichung auch nur in für sie nützlichen Medien zu. - Das Foto war und ist somit für die Eliten immer ein Mittel zur perfekten Selbstdarstellung, zur Image-Mehrung. Aber Fotografie war für diese Kreise kein Selbstzweck.
- Das Statussymbol bildet somit nicht die Kamera und auch nicht der Fotograf, noch nicht einmal das Foto selbst, sondern die Publikation des eigenen Abbildes in bestimmten Medien. Je häufiger eine Person in auflagenstarken und somit wichtigen Medien abgebildet ist, desto höher ihr Renommee, desto wichtiger, angesehener und auch einflussreicher ist sie.
Einstellungsveränderung und Perspektivenwechsel
Hinzu kommen tiefgreifende soziologische Verwerfungen:
- Die Gesellschaft hat sich weltweit in ihrem Verhalten grundsätzlich geändert. Als ein Symptom lässt sich in allen Bereichen z.B. ein zunehmender Exhibitionismus erkennen. Die Menschen wollen nicht nur sehen, sondern selbst gesehen werden - sich darstellen. Man denke nur an die Aquariums- / Exhibitionismus- / Schaufenster-Architektur der letzten Jahrzehnte mit vollverglasten Wänden bis zum Boden - auch im Bad und Schlafzimmer. Oder den Casting-Shows. Die breite Masse macht dies jedoch nur den Eliten nach, wie sie diese sowieso in fast allem kopiert.
- Wenn man einmal von seltenen Selbstporträts und der relativ komplizierten Selbstauslösefunktion bei Fotoapparaten absieht, so fand in der klassischen Fotografie fast immer eine bewusste Exklusion des Fotografen statt. Er stand hinter der Kamera. Nur deshalb konnte überhaupt der allseits bekannte Spruch aufkommen:
Das Foto entsteht hinter der Kamera
. - Folglich war die Dokumentationsweise früher auch indirekt: Jemand nahm den Eifelturm auf, und jeder wusste, er war in Paris gewesen. Er fotografierte das Kolosseum, wodurch dokumentiert wurde, dass er sich in Rom befunden hatte. Er zeigte ein Dia vom Prado, woraus jeder indirekt schloss, dass er in Madrid Urlaub gemacht hatte. - Die Kunst im Foto wurde so weit getrieben, dass man Unwesentliches beschnitt und sogar Techniken ersann, wie man auch die störenden
Touristen aus dem Foto entfernte, um quasi das Zeitlose festzuhalten. Und sogar bei den sogenannten Momentaufnahmen versuchte man, ein Stück der Ewigkeit einzufangen, in das man sich dann jahrelang an der Wand aufgehängt vertiefen konnte.
- Die Mehrheit der jungen Menschen will heute jedoch eher den aktuellen Moment des bewegten Lebens einfrieren, diesen sofort anderen mitteilen, sowie dann weitergehen, um den nächsten Moment der Vergänglichkeit zu dokumentieren. Vor allem wollen viele sich heute jedoch mitaufnehmen und sich auch als voll integriert in einen möglichst großen Freundeskreis sehen. - Sie wollen ihre eigene Integration plakativ demonstrieren. Der indirekten Darstellung wird als unpersönlich und pseudoneutral sogar misstraut. Überspitzt könnte man Rousseau für die Gegenwart abwandeln:
Ich bin im Bilde, also bin ich.
Und, weil ich auf dem Foto / Video bin, ist es auch echt. - Die Dokumentation findet heute beim Selfie wesentlich direkter statt: Ich vor der Freiheitsstatue, ich mit meinen Freunden am Strand der Malediven, ich mit meinen Buddys auf dem Dach des Burj Al Arab in Dubai. Vor allem immer: Ich im Zentrum des Geschehens. Ich bin das Kunstwerk. Ich bin das Ereignis. Nur diese platte und extrem direkte Darstellung wird noch als authentisch angesehen. Nur noch dieser eine Moment zählt, und ich war dabei. Hier werden Fotos und Videos wieder zu reinen Beweismitteln. Ich, Euer Berichterstatter vor Ort. Deshalb ein (Ultra-)Weitwinkelobjektiv mit extremer Schärfentiefe und der Verzicht auf fast jede künstlerische Note: authentisch verwackelt und echt schief. Aber immer nah dran am pulsierenden Leben.
- Folglich entsteht das Foto heute überwiegend vor der Kamera. Das funktioniert jedoch mit den klassischen Kameras der Fotoapparatehersteller nicht.
- Dazu passt auch die eigentliche Erfolgsgeschichte der Fotokameras in den letzten 10 Jahren: der Videobereich! - Dort konnten sich die Menschen mit den kombinierten Video-/Fotokameras in ihren kleinen Heimstudios (oft nur das Wohnzimmer) erstmals selbst vor die Kamera setzen und sich in Szene setzen. Die Videofunktion brachte Otto Normalbürger in die Medien. Der
kleine Mann und die kleine Frau von der Straße
wurden in den eigenen (meist jungen) Insiderkreisen plötzlich zu Moderatoren, Meinungsmachern und Stars. Zwar wurde YouTube von allen Eliten belächelt und von den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten bis vor Kurzem ignoriert. Aber die junge Generation interessiert sich schon lange nicht mehr für das klassische Fernsehen oder überhaupt die etablierten Medien. Das Internet sind für sie die neuen demokratischen Medien, die sie aktiv selbst gestalten, während die klassischen Medien überwiegend als elitäre Zensurstelle sowie exklusive und reine Darstellung der selbstherrlichen Arroganzia wahrgenommen wird - langweilige Hofberichterstattung für die Gruftis. - Das ist keine einfache Establishment-Kritik. So haben inzwischen nicht nur viele junge Menschen das Establishment durch den Aufbau einer separaten Medienwelt bereits völlig umgangen und de facto entmachtet. Das Establishment hat es in großen Teilen nur noch nicht begriffen.
- Diese Generation Internet / soziale Netze definiert ihren Status über Follower, Friends, Likes, Abrufe und Klicks sowie inzwischen über erhebliche Werbeeinnahmen durch diese Fotos und Videos. Die derzeitigen modernen Kameras sind jedoch dieser Zielgruppe zu teuer und zu kompliziert. Als Ein-Personen-Film-Studio verwenden sie deshalb oft das moderne Smartphone, dessen Bildqualität angesichts der miserablen Dateikompression im Internet sogar mehr als nur gut genug ist.
Preis und Marke
Ein Status lässt sich jedoch auch durch Markenzugehörigkeit und den Preis definieren.
- In vielen Bereichen gelang dies, vor allem in der Mode. Aber auch in der Technik gelang es z.B. Apple insbesondere mit seinem Smartphone.
- Aber im Fotobereich sind bisher die Versuche gescheitert. Selbst die Marken Leica (Kameras) und Zeiss (Objektive) sind eher einem kleinen Kreis bekannt. Die überhöhten Preise alleine verhelfen auch dort nicht wirklich zu einem Statussymbol.
- Die anderen Firmen von Canon über Nikon zu Sony versuchen zwar seit Jahrzehnten, immer weiter an der Preisschraube zu drehen, aber selbst dadurch wurden ihre Kameras nur für eine geringe Anzahl wirklicher Foto-Insider zu einem angeblichen Statussymbol. Seit 2017 mehren sich die Gerüchte, dass fast alle Kamerahersteller Produkte oberhalb der 5.000 Euro-Klasse planen oder bereits entwickeln. Quasi Leica-light. Aber auch dies wird kaum etwas ändern.
- Eventuell liegt es auch an dem Volumen-Gewichts-Problem. Statussymbole sind oft groß, schwer, laut, unübersehbar, oder genau das Gegenteil: klein, leicht, unauffällig, ubiquitär mitnehmbar - wie Uhren, Schmuck oder Smartphones. Kameras liegen hingegen irgendwo im unpraktischen Bereich dazwischen.
Technik
Technik kann ein Statussymbol sein.
- Heute wird der Status einer Kamera über die integrierte Technik definiert. Und diese ändert sich täglich. D.h. das Statussymbol altert schnell - Es ist fast so kurzlebig wie die Zeitung von gestern.
- Noch schlimmer ist jedoch ein seit Jahren im Fotobereich grassierender Virus: Die Gerüchteküche über zukünftige Produkte und das Marketing der Herstellerfirmen mit immer früheren Vorankündigungen. Daraus folgt, dass jede neueste Kamera schon technisch überholt und veraltet ist, da das Nachfolgemodell bereits angekündigt oder zumindest überall als (teilweise wildes) Gerücht besprochen wird.
- Früher kündigte man Produkte erst an, wenn sie fertiggestellt und getestet waren. Heute ist es üblich sie bereits ein halbes oder sogar ein Jahr im Voraus offiziell anzukündigen, oder sogar Vorserienmodelle irgendwo auf Messen auszustellen.
- Früher hätte sich niemand Gedanken um ein ungelegtes Ei gemacht. Heute im Zeitalter der Vorankündigungen sind die Gerüchte wichtiger als die Produkte selbst.
- Und noch ein Wort zur allseits beliebten Leica: Leica schädigt m.E. seine Marke und sein gesamtes Image, indem die Firma bei manchen Modellen von Panasonic nicht nur die Technik, sondern gesamte Produkte übernimmt und unter eigenem Markennamen vertreibt. Natürlich wird das Kameramodell etwas veredelt. De facto sind jene Produkte jedoch auch nur überteuerte Versionen anderer Produkte und keine Statussymbole.
Die Foto-Kamera als Statussymbol ist somit ein Märchen, das sich vor allem in Internet-Foto-Foren und in vielen Foto-Clubs findet. Bedenken Sie jedoch, dass die dortigen Meinungsmacher Eigeninteressen verfolgen. Im Fotoclub sucht der Besitzer der Kamera Bestätigung und Anerkennung für seine teure Investition, und in den meisten Fotoforen handelt es sich um von Firmen bezahlte Schreiberlinge, welche für Geld irgendwelche Kameras hochjubeln, um den Umsatz anzukurbeln.
Eindruck schinden
Dennoch existieren noch immer Methoden, als Fotograf bei vielen Menschen Eindruck zu schinden:
- Bringen Sie ein großes Stativ mit - je größer und schwerer es ist, umso wirkungsvoller. Und bauen Sie es vor den Aufnahmen vor dem Kunden / den aufzunehmenden Personen sichtbar und langsam auf. Auch, wenn Sie es dann de facto kaum oder nicht benutzen. - Viele Menschen verbinden Qualität, hochwertige Aufnahmen und Fach- / Berufskenntnisse im Bereich Fotografie noch immer mit dem Stativ.
- Bringen Sie ein Systemblitzgerät mit und montieren Sie es an der Kamera. Auch, wenn Sie es dann de facto kaum oder nicht benutzen. - Viele Menschen assoziieren ein Blitzgerät mit Qualität.
- Bringen Sie dazu passende Lichtformer mit. Das ist schon derart ausgefallen, dass Sie selbst mit den billigsten selbstgebastelten auffallen.
- Bringen Sie eine Blitzlichtanlage mit. Bereits der aufwändige Aufbau wird fast jeden Menschen beeindrucken. Der positive Eindruck steigt noch weiter, sofern Sie dafür einen Assistenten als Lastenträger mitbringen.
- Bringen Sie bei zu fotografierenden Männern eine junge, hübsche Assistentin mit entsprechendem Brustumfang mit. - Es ist erstaunlich, wie dieses rein sexistische Attribut hilft, Eindruck zu schinden - vor allem bei älteren Herren.
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Um meine Neutralität zumindest auf dem hier beschriebenen Feld der Fotografie und Videografie wahren zu können, nehme ich bewusst von keinem Hersteller, Importeur oder Vertrieb irgendwelche Zuwendungen jeglicher Art für das Verfassen der absolut unabhängigen Artikel an. Auch von Zeitschriften oder Magazinen aus dem Fotobereich erhalte ich keinerlei Zuwendungen.
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Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Freude beim Fotografieren und Filmen.